Bei Prostitution vertreten wir die Auffassung, dass Konsens nicht alleine durch
Bezahlung gegeben ist. Was ändert sich also, wenn eine Kamera involviert ist?
Das Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen einfacher Pornographie, also
pornographischen Schriften und Inhalten, und harter Pornographie, das heißt gewalt-,
tier-, kinder- und jugendpornographische Schriften und Inhalte. Einfache Pornographie
darf nicht von Menschen unter 18 Jahren gesehen werden oder Menschen ohne Konsens
gezeigt werden. Harte Pornographie darf nicht hergestellt oder verbreitet werden; der
Besitz für Einzelpersonen ist nur für Kinder- und Jugendpornographie verboten.
Es gibt eine große Vielfalt von Verhältnissen, unter denen Pornographie produziert
wird. Im Kontext des Patriarchats ist es ein Riesenunterschied, ob sich ein Pärchen
hinsetzt, ein Video produziert und es im Internet hochlädt oder ob
Pornodarsteller*innen durch kapitalistische Umstände (Lohnarbeitszwang) oder durch
Zuhälter und Menschenhändler zur Produktion gezwungen werden.
Im zweiten und dritten Fall bedeutet Pornographie aber die wirtschaftliche und
soziale Unterdrückung der Frau, unter anderem da die Bereitstellung gewisser
sexueller Inhalte und Dienstleistungen unter Zwang und finanziellem Druck passiert
und somit nicht mit einer sozialen und ökonomischen Freiheit von Frauen vereinbar
ist. Die (Mainstream-) Pornoindustrie wurde für Männer geschaffen, um Frauen zu
objektifizieren und sich an ihrer Demütigung aufzugeilen.
Bei Prostitution ist es leichter, (einen) Täter zu finden: Freier und Zuhälter halten
das System aufrecht und fügen den Prostituierten Leid und Gewalt zu. Da die
Pornoindustrie divers ist, kann es Produktionssituationen geben, die ähnlich wie
Zuhälterei funktionieren, aber wenn jemand nur zuhause und allein produziert, dann
ist der „Sexkäufer“, Freier, eben der Zuschauer. Darüber hinaus ist der Profit, den
der Produzent abschöpft, davon abhängig, dass Pornodarstellende Sex haben. Hier kann
Konsens nicht immer sicher sein, da die große Mehrzahl der Pornodarstellenden
ökonomisch prekär aufgestellt sind und in jedem Fall sie abhängig sind von dem Lohn.
Diese Abhängigkeit erschwert es den Darstellenden, sich dagegen zu entscheiden, Sex
zu haben, wenn sie es nicht wollen.
Die Pornoindustrie und die darin gemachten Erfahrungen können für viele sehr
traumatisierend sein und sich langfristig auf die Lebensqualität auswirken. Dabei
gibt es selten Kompensation oder Konsequenzen für die Verantwortlichen. Manche
Darsteller*innen beschreiben, sich durch ihre Arbeit emanzipiert zu fühlen oder dass
es für sie eben nur das, eine Arbeit, sei. Das kann für manche empowerend wirken, für
andere aber dafür sorgen, dass gesellschaftlich die Stimmen der Traumatisierten
weniger wahrgenommen werden und für vor allem jüngere Menschen ein romantisiertes
Bild von „Sexwork“ als gute Option für schnelles Geld entsteht. In einer befreiten
Welt, wie wir sie uns wünschen, können Leute – ohne davon abhängig zu sein – alleine
auf der Basis ihrer eigenen Bedürfnisse sich entscheiden, sich im Sexakt zu filmen
oder nicht.
Pornokonsum, insbesondere sehr regelmäßiger, kann sich tatsächlich auf das Gehirn
auswirken, zum Beispiel auf das Belohnungssystem. Die stetige Gewöhnung an
Objektifizierung und schnell verfügbare Orgasmen kann verändern, wie menschliche
Interaktionen im Alltag oder Frauen allgemein wahrgenommen werden. Fetischisierung
einzelner Gruppen oder Personenkonstellationen findet sich durch Suchkategorien auf
Pornoseiten wieder. Dabei werden (meist Frauen) nach Alter, Geschlecht, Hautfarbe und
Gewicht sortiert und das Pornoprodukt auf diese oberflächlichen Parameter
heruntergebrochen. Insbesondere rassistische Fetischisierung, die durch Pornoseiten
verstärkt wird, kann das Leben von BIPoC negativ beeinflussen, wenn z.B. aus einem
normalen Date dann ein (unfreiwilliger) Fetisch wird.
Für Kinder und Jugendliche kann unfreiwilliger Kontakt mit Pornographie prägend und
vor allem für jüngere auch verstörend sein. Dabei müssen Eltern dafür sorgen, dass
Kinder nur passende Suchmaschinen benutzen und vor unfreiwilligem Kontakt geschützt
oder zumindest mit Aufklärung darauf vorbereitet sind. Denn Pornos sind gespielt, die
Positionen oder Menschenkonstellationen im echten Leben teilweise schwer realisierbar
oder schmerzhaft und auch die öftere Abwesenheit von Vorspiel kann sehr
unrealistische oder schädliche Vorstellungen von Sex vermitteln.
Im Kontext von Queerer Identität kann die öffentliche Darstellung von nicht
heteronormativer Sexualität ein Akt Queerer Befreiung sein. Dabei ergibt sich
allerdings auch, wie bei den meisten Minderheiten, die Gefahr einer schädlichen
Fetischisierung. Zu queerem und feministischen Aktivismus gehört es praktisch dazu,
männerdominierte Räume neu einzunehmen, umzudefinieren und für alternative Gruppen
zugänglich zu machen. So gibt es feministische und queere Kollektive, die Pornos
produzieren, um ein Angebot für eine neue Darstellung von Sexualität und Diversität
zu bieten. Sofern die Bedingungen für alle daran Mitarbeitenden respektvoll und fair
sind, ist dies wohl das Nächste, wie wir im Kapitalismus an emanzipierte Pornographie
herankommen. Allerdings ist Konsens, sobald Bezahlung involviert ist, nicht mehr
sicher gegeben, vor allem, wenn das die Hauptverdienstquelle ist, da die Produktion
dann nicht komplett (kreativ) frei sein kann, wenn die Nachfrage der Konsument*innen
miteinbezogen werden muss.
Auch technisch modernere Optionen bieten kaum eine Verbesserung oder eine vom
Patriarchat befreite und oder emanzipierte Pornoproduktion.Die meisten Menschen die,
zum
Beispiel auf OnlyFans, als Sexworker arbeiten verdienen kaum/nichts, während 1
Prozent der OnlyFans Darsteller*innen 33% der Einnahmen insgesamt generiert und das
Unternehmen OnlyFans einen neunstelligen Jahresumsatz erzielt (2020, 400 Millionen).
Eine Ausweitung der Sexindustrie in digitale Bereiche bietet Frauen also nicht die
Möglichkeit emanzipiert über ihren Körper zu entscheiden und wirtschaftliche
Freiheit, sondern bedeutet eine weitere Kommerzialisierung zu einem Hungerlohn und
finanziellen Zwang. Gleichzeitig gibt es keinen zuverlässigen Mechanismus, um zu
verhindern, dass die Fotos geleaked werden. Das romantisierte Bild von angeblicher
Emanzipation auf Plattformen wie OnlyFans rückt zeitgleich viele andere Gefahren in
den Schatten. Zuhälterei ist längst nicht nur ein Verbrechen in der Präsenzwelt,
sondern auch in höherem Ausmaß online. Mit Maschen wie der perfiden „Lover-Boy-
Masche“ werden Frauen und Mädchen dazu gedrängt von online-Zuhältern, Content auf
OnlyFans zu produzieren (bei der Lover-Boy-Masche machen Zuhälter, Frauen und Mädchen
abhängig von sich indem sie Beziehungen anfangen und Frauen dazu bringen sich in
diese zu verlieben, um sie dann zu isolieren, zu manipulieren und zu Prostitution und
sexuellen Tätigkeiten zu zwingen). In diversen Männer, Business und Coaching-Gruppen
wird diese online-Zuhälterei angepriesen als gutes Business-Konzept und es werden
Anleitungen und Kurse verkauft, in denen Mann lernt, wie man Frauen am besten
ausbeutet , manipuliert, dazu zwingen und am meisten Profit generieren kann.
Zeitgleich gelten in der Pornoindustrie sowie auf OnlyFans, Frauen und ihre
Abbildungen schnell als „aufgebraucht“, und nicht mehr „neu & interessant“. Um auf
der Plattform profitabel zu bleiben oder überhaupt etwas zu verdienen, sind Frauen
durch den starken Konkurrenzdruck und Druck der Käufer dazu gezwungen immer mehr über
ihre selbst gesetzten Grenzen zu gehen wie etwa immer mehr von sich zu zeigen, mit
den Käufern zu interagieren und deren Wünsche zu erfüllen.
Mit dem derzeitigen Zustand von künstlicher Intelligenz ist es möglich,
pornographische Bilder oder Videos von Menschen zu erstellen, die dazu nie zugestimmt
haben. Da die Technologie immer weiter fortschreitet, kann das sehr gefährlich
werden, wenn sich AI nicht mehr von echt unterscheiden lässt. Außerdem können
Pädophile durch diese Methoden künstlich erstellte Kinderpornographie erlangen, die
potenziell gesetzlich nicht gut einschränkbar ist.
Wir fordern daher:
-Niedrigschwellige, mehrsprachige und bürokratiearme Ausstiegs- und
Hilfsprogramme für Darsteller:innen, die aus der Industrie herauswollen
-Veröffentlicher pornografischer Inhalte verpflichten, den Uploader:innen
-Informationen zu Ausstiegsprogrammen zur Verfügung zu stellen
-Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten für die Pornodarstellenden mithilfe
von Angeboten Sozialer Arbeit
– Durch außerschulische Lehrende angeleitete Sexualpädagogik (jährlich) mit Fokus
„Grenzen kennenlernen und respektieren“ und damit zusammenhängende Aufklärung
über die Realität der Pornoindustrie
-Besseren Datenschutz im Kontext von künstlicher Intelligenz
-Gesetzlicher Anspruch auf Schadensersatz und Anspruch auf Unterlassung gegen die
pornographische Darstellung und Veröffentlichung
-Härtere Sanktionen durch substanzielle Geldstrafen oder Sperrung von Webseiten,
um wiederholte Gesetzesbrüche und Skandale bekannter und profitabler Konzerne zu
beenden
Begründung
Hier ein paar Quellen, die wir beim Schreiben des Antrags nutzen:
Die strafrechtliche Bewertung von Pornographie vor dem Hintergrund der feministischen Bewegungen, der Porn Studies und der Medienforschung von Anja Schmidt
„OnlyFans and the Realization of Women’s Freedom“, Emely Adamsen, 2021
Ein durchschnittlicher Sexworker auf OnlyFans verdient 2024 151-180 US-Dollar pro 5 Monat, dass lässt sich nicht mit der ökonomischen Freiheit von Frauen vereinbaren (https:// theredplayground.com/onlyfans-statistics/)
Doris Allhutter: Dispositive Digitaler Pornografie
Angela Tillmann: Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n)