Schuldenbremse abschaffen – Ausbau von Sozialen und Bildung schafft Frieden und hilft gegen rechts!

Beschluss des XVI. Bundeskongresses II. Tagung vom 23.-24. Februar 2024


Die neoliberale Wende, die verstärkt seit den 1980er Jahren von Regierenden in den
 entwickelten kapitalistischen Ländern eingeleitet worden ist und die auf eine
 Kräfteverschiebung zugunsten des Kapitals und auf Kosten der Arbeit abzielte, zeigt
 sich auch in der Schuldenbremse.

Die Schuldenbremse ist dabei eine verfassungsrechtliche Regelung, die die
 Kreditaufnahme durch öffentliche Haushalte stark einschränkt. Sie wurde in
 Deutschland erstmals 2009 auf Wirken der Großen Koalition durch eine Änderung des
 Grundgesetzes im Bund verankert. Im nachfolgenden Jahrzehnt folgten viele
 Bundesländer dem Beispiel des Bundes. In dieser Form ist sie in Deutschland
 einzigartig. Keine andere entwickelte Industrienation verfügt über eine vergleichbare
 Institution.

Durch die Schuldenbremse werden öffentliche Haushalte faktisch daran gehindert,
 öffentliche Güter auszufinanzieren, Sozialleistungen bedarfsgerecht bereit zu stellen
 und dringend benötigte Investitionen, wie etwa im Hinblick auf die ökologische
 Transformation der Wirtschaft, zu tätigen. Sie ist eine in der Verfassung
 festgeschriebene Austeritätspolitik. Das zeigt sich auch aktuell, wo die
 Ampelkoalition bei vielen Sozialausgaben kürzt, um die Schuldenbremse einzuhalten.
 Die dadurch vertiefte soziale Ungleichheit bildet erst den Nährboden, auf denen die
 AfD ihre menschenverachtende Konkurrenzideologie ausbreiten kann. Der AfD gelingt es
 dadurch, den gesellschaftlichen Diskurs sowie die Bundesregierung nach rechts zu
 drängen, was sich etwa in der Verschärfung des Asylrechts zeigt.

Im Interesse der Arbeiter*innenklasse gilt es, die Schuldenbremse abzuschaffen. Dazu
 ist aber eine Analyse über die ökonomische Wirkungsweise der Schuldenbremse
 notwendig. Auch muss herausgearbeitet werden, welche Klassen und Klassenfraktionen
 ein Interesse an einer Abschaffung der Schuldenbremse haben, um so bündnispolitische
 Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.


Analyse der Schuldenbremse


Im Gegensatz zu den Einschätzungen einiger linker Gegner*innen der Schuldenbremse,
 wonach es sich bei der Schuldenbremse um eine irrationale Ideologie handelt, die der
 Wirtschaft klassenübergreifend nur Nachteile verschaffe, stärkt die Schuldenbremse
 die Verhandlungsposition des Kapitals gegenüber der Arbeit in dreifacher Hinsicht:

Erstens werden durch die Schuldenbremse Sozialausgaben gekürzt und die Ausgaben für
 öffentliche Güter eingespart, wie man derzeit etwa an den Bürgergeld-Kürzungen der
 Ampelkoalition sieht. Dadurch wird die Marktabhängigkeit von Arbeiter*innen erhöht.
 Das bedeutet, dass Arbeiter*innen ihre Bedürfnisse im geringeren Ausmaß durch die
 Inanspruchnahme von Sozialleistungen und von (meist vergünstigten oder kostenlosen)
 öffentlichen Dienstleistungen decken können. Um ihre Bedürfnisse dennoch zu
 befriedigen, werden Arbeiter*innen abhängiger vom Einkommen, das sie aus dem Verkauf
 ihrer Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt erzielen. Dadurch sinkt der Reservationslohn,
 d.h. die Mindesthöhe des Lohns, zu dem ein Arbeitnehmer gerade noch bereit ist, seine
 Arbeitskraft zu verkaufen. Damit sinkt das Lohnniveau und steigen die Profite der
 Kapitalist*innen. Die Arbeiterschaft wird durch die verstärkte Marktabhängigkeit
 zudem diszipliniert und Arbeitskämpfe werden im Keim erstickt, was die Autorität der
 Kapitalist*innen stärkt.

Zweitens verhindert die Schuldenbremse eine Wirtschaftspolitik, die für
 Vollbeschäftigung sorgt. Das bedeutet, dass der Staat durch die Schuldenbremse stark
 eingeschränkt wird, öffentliche Investitionen zu tätigen und den Massenkonsum zu
 subventionieren, um dadurch die effektive Nachfrage bis zu einem Punkt zu steigern,
 an dem Vollbeschäftigung erreicht sein würde. Wie der polnische, von Karl Marx und
 John Maynard Keynes beeinflusste Ökonom Michał Kalecki allerdings bemerkte,¹ würde
 durch eine Politik der Vollbeschäftigung die disziplinierende Wirkung von
 Arbeitslosigkeit auf die Arbeiter*innenklasse verloren gehen. Die Drohung des Chefs,
 jemanden bei allzu laxer Arbeitsmoral „aufs Pflaster zu werfen“, wäre bei
 Vollbeschäftigung, bei der Arbeiter*innen ohne viel Mühe einen anderen Arbeitsplatz
 finden würden, nicht sehr wirkungsvoll. Die Schuldenbremse ist damit wiederum der
 bester Garant für die Aufrechterhaltung der Autorität von Kapitalist*innen in ihren
 Betrieben. Auch würde mit Vollbeschäftigung die Streikbereitschaft der Arbeiter*innen
 steigen. Steigende Löhne und sinkende Profite wären die Folge, was ebenfalls nicht im
 Klasseninteresse der Kapitalist*innen liegt.

Drittens schränkt die Schuldenbremse ganz allgemein die Handlungsfähigkeit des
 Staates ein und macht staatliche Wirtschaftspolitik abhängiger von den Wünschen der
 Kapitalist*innen. In einer Rezession wird dem Staat durch die Schuldenbremse die
 Möglichkeit genommen, durch öffentliche Investitionen und Ankurbelung des
 Massenkonsums die Krise zu überwinden. Stattdessen muss der Staat die Bedingungen für
 private Investitionen verbessern. Dies gibt den Kapitalist*innen eine mächtige
 indirekte Kontrolle über die Regierungspolitik. Die Schuldenbremse zwingt die
 Politiker*innen in Regierungsverantwortung automatisch nach der Pfeife des Kapitals
 zu tanzen.

Darüber hinaus gibt es aus Sicht der Kapitalist*innenklasse auch gute Gründe für eine
 Abschaffung der Schuldenbremse:

Erstens wird der Staat durch die Schuldenbremse in seiner Rolle als ideeller
 Gesamtkapitalist eingeschränkt. Kapitalist*innen sind in vielerlei Hinsicht von einer
 gut funktonierenden öffentlichen Infrastruktur abhängig sowie von – zumeist in
 öffentlichen Bildungseinrichtungen – ausgebildeten Arbeitskräften. Eine mangelnde
 öffentliche Infrastruktur wirkt als Bremse fürs private Geschäft.

Zweitens verhindert die Schuldenbremse öffentliche Investitionen in die ökologische
 Transformation der Wirtschaft. Wie der Brandbrief von 50 namhaften deutschen
 Unternehmen (u.a. Puma, Rossmann, Telekom und Thyssenkrupp) vom Januar 2024 zeigt,
 haben Teile der Kapitalist*innenklasse ein Interesse an einem klimafreundlichen Umbau
 der Wirtschaft. Dies tun sie aber nicht aus schlechtem Gewissen, sondern weil der
 „Standort Deutschland“ in Bezug auf klimafreundliche Technologien in der
 internationalen Konkurrenz abgehängt zu werden droht, wie der Verweis auf die
 Vereinigten Staaten und China im Brandbrief zeigt, die „gewaltige Summen in die
 Transformation“ investierten. Die unterzeichnenden Unternehmen fordern daher eine
 „Weiterentwicklung der Schuldenbremse“, also eine Aufweichung dieser, wenngleich
 nicht ihre Abschaffung.²

Drittens kann eine Politik, die auf eine Stärkung der Kaufkraft abzielt – die aber
 durch die Schuldenbremse verhindert wird – insbesondere in Zeiten einer Rezession den
 Unternehmen dabei helfen, ihren Absatz zu steigern. Davon profitieren insbesondere
 Branchen, die unmittelbar für den Konsum produzieren. Es gilt allerdings zu beachten,
 dass eine Stärkung der effektiven Nachfrage auch zu steigenden Löhnen auf Kosten der
 Profite führt, wie oben erläutert. Insbesondere in einer exportorientierten
 Wirtschaft wie der deutschen hat eine Stärkung der Binnennachfrage allein den
 negativen Effekt auf die Kapitalist*innen, dass steigende Löhne die Profite
 auffressen, ohne dass dadurch der Absatz gestärkt werden würde. Das liegt daran, dass
 sich die Nachfrage für diese exportorientierten Industrien nicht im Inland, sondern
 im Ausland befindet. Diese widersprüchliche Interessenkonstellation des Kapitals kann
 auch historisch anhand des New Deal in den Vereinigten Staaten aufgezeigt werden, der
 ein in der Geschichte der USA einmaliges Programm zur Steigerung der Massenkaufkraft
 darstellte. Während nämlich insbesondere die Kapitalist*innen der konsumorientierten
 Wirtschaftszweige, wie der Elektronik- und Bekleidungsindustrie, den keynesianischen
 New Deal unterstützten, gehörten die Kapitalist*innen der arbeitsintensiven
 Industrien, die von Lohnsteigerungen am meisten negativ betroffen waren, tendenziell
 zu den Gegner*innen der Politik Roosevelts.³

Strategie gegen die Schuldenbremse


Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass eine antizyklische Investitionspolitik in
 Zeiten einer Rezession gegen rechts hilft. Während in Deutschland die
 Weltwirtschaftskrise mit einer rabiaten Sparpolitik unter dem Reichskanzler Heinrich
 Brüning beantwortet wurde und so dem Faschismus den Weg bereitete, gelang es
 fortschrittlichen Kräften in den USA 1932 das Ruder herumzureißen. Durch ein
 Klassenbündnis, das die Arbeiter*innenklasse in Form von Gewerkschaften und Teile der
 Kapitalist*innenklasse umfasste, wurde unter der Präsidentschaft Franklin D.
 Roosevelts der New Deal umgesetzt – ein umfassendes Investitionsprogramm in Arbeit,
 Kultur, Bildung und Infrastruktur. Er erwirkte enorme Lebensverbesserungen für viele
 Arbeiter*innen. Auch Teile der Kapitalist*innenklasse profitierten von einer Stärkung
 der Massenkaufkraft. Damit wurde ein Weg aus der Krise aufgezeigt, der sich von der
 Sparpolitik Brünings abhob und den Aufstieg faschistischer Bewegungen entgegenwirkte.
 Auch heute kann eine solche Politik, die auf die Stärkung der Massenkaufkraft
 abzielt, die Unzufriedenheit in breiten Teilen der Bevölkerung verringern. Damit wird
 der AfD, die diese Unzufriedenheit für ihre rassistische Politik instrumentalisiert,
 das Wasser abgegraben.

Weil die Kapitalist*innenklasse bei der Schuldenbremse gespalten ist, macht es für
 uns als Sozialist*innen Sinn, in dieser Frage eine „Volksfrontstrategie“ zu
 verfolgen. Das bedeute, dass wir bei Bündnissen gegen die Schuldenbremse neben
 Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Akteur*innen, die die Interessen von
 Arbeiter*innen vertreten, auch die Teile der Kapitalist*innenklasse mit ins Boot
 holen, die auf eine Aufweichung oder Abschaffung der Schuldenbremse hinwirken. Wie
 Karl Marx und Friedrich Engels im „Manifest der Kommunistischen Partei“ schrieben,
 erringt die Arbeiter*innenklasse reformerische Erfolge in ihrem Sinne auch dadurch,
 „indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt.“⁴

Zugleich hat die jahrzehntelange ideologische Indoktrination durch Politik und Medien
 eine Situation geschaffen, in der ein Großteil der Bevölkerung die Beibehaltung der
 Schuldenbremse befürwortet. Um diesen Zustand zu bekämpfen braucht es neben einer
 klugen Bündnispolitik auch eine umfassende ökonomische „Alphabetisierung“ der
 Bevölkerung und den Aufbau einer überzeugenden Gegenerzählung zur Metapher der
 „schwäbischen Hausfrau“ für öffentliche Haushalte.

In linken Kontexten müssen wir zudem der keynesianisch inspirierten Erzählung
 entschieden entgegentreten, wonach das Festhalten an der Schuldenbremse und eine
 Sparpolitik irrational sei, weil dies der Wirtschaft klassenübergreifend nur
 Nachteile verschaffe. Diese Erzählung ignoriert den Klassenwiderspruch und die
 Tatsache, dass Austeritätspolitik allgemein die Verhandlungsposition der Arbeit
 gegenüber dem Kapital schwächt.

—–


Anmerkungen:

¹ vgl. Kalecki, Michał [1943] (2018): Political Aspects of Full Employment.
 jacobin.com. Online verfügbar unter:
 https://jacobin.com/2018/05/political-aspects-of-full-employment-kalecki-job-
 guarantee,
 zuletzt geprüft am 11.02.2024

² Zitate aus: Stiftung KlimaWirtschaft (2024): Die Transformation als
 Jahrhundertprojekt. Was die Wirtschaft von der Politik braucht. klimawirtschaft.org.
 Online verfügbar unter:
 https://klimawirtschaft.org/publikationen/positionen/unternehmensappell2024, zuletzt
 geprüft am 11.02.2024

³ vgl. Phillips-Fein, Kim (2009): Invisible Hands. The Businessmen’s Crusade Against
 the New Deal. New York, London: W. W. Norton, Kapitel 1: Paradise Lost [ebook]

⁴ MEW 4, S. 471

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