Selbstbestimmung, Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten

Beschluss des XVI. Bundeskongresses II. Tagung vom 23.-24. Februar 2024

Die schrecklichen Ereignisse in Israel und Palästina, die uns in den vergangenen
 Monaten tief erschüttert und bewegt haben, zeigen einmal mehr, dass ein „Weiter so!“
 unmöglich ist. Solange es keine grundlegende Lösung gibt, die die Interessen aller
 Bevölkerungsgruppen in Israel und Palästina berücksichtigt, wird es immer wieder zu
 Gewalt und Leid in unerträglichem Ausmaß kommen. Gleichzeitig verstärkt der Israel-
 Palästina-Konflikt autoritäre Tendenzen im Inneren von Israel und Palästina und trägt
 zur wachsenden Dominanz der extremen Rechten in beiden Gebieten bei. Ohne eine Lösung
 des Konflikts sind dem Kampf für Demokratie, Emanzipation und soziale Gerechtigkeit
 sowohl in Israel als auch in Palästina immer Grenzen gesetzt.


Die Linksjugend [‘solid] stellt fest:

1. Forderungen, die auf die Vertreibung entweder der jüdischen oder der
 palästinensischen Bevölkerung hinauslaufen, sind zutiefst menschenfeindlich.
 Keine politische Lösung, die massenhafte Vertreibung der derzeit dort lebenden
Menschen aus der Region voraussetzt, wird Frieden und Gerechtigkeit bringen.
2. Seit der Gründung des Staates Israel war die palästinensische Bevölkerung
 stets Subjekt einer gewalttätigen und entwürdigenden Politik. Die
 menschenverachtende Politik der aktuellen extrem-rechten Israelischen Regierung
 findet angesichts der Massakrierung und Vertreibung von Millionen
 Palästinensern im Gazastreifen einen Höhepunkt. Das riesige Ausmaß an Tod und
 Zerstörung in der Enklave betont die Wichtigkeit einer humanen und friedlichen
 Lösung des Konfliktes.
3. Sowohl Zionismus als auch palästinensische Nationalbewegung knüpfen an reale
 Unterdrückungserfahrungen der jüdischen bzw. der palästinensischen Bevölkerung
 an. Sowohl Israelis als auch Palästinenser:innen bauen ihre nationale Identität
 auf eine lange Geschichte von Präsenz in der Region auf. Wie jeder Nationalismus
 auf der Welt sind auch die jeweiligen Nationalismen hier teilweise mythologisch
 aufgeladen und interpretieren Geschichte stromlinienförmiger, als sie ist, aber
 beide nationalen Identitäten können an eine reale Geschichte von Präsenz in und
 Vertreibung aus der Region, die heute Israel und Palästina bildet, anknüpfen.
4. Es gibt sowohl in Israel als auch in Palästina bei der überwältigenden Mehrheit
 jeweils die Forderung danach, einen eigenen israelischen bzw. palästinensischen
 Staat zu haben. Ökonomisch hat man es mit zwar eng verflochtenen Gebieten zu
 tun, zwischen denen aber in Bezug auf Einkommen, Vermögen, Infrastruktur und
 Wirtschaftsstruktur ein gigantischer Graben liegt. Weder eine Ein-Staaten-Lösung
 noch zwei Staaten, die ihre Angelegenheiten vollkommen getrennt behandeln,
 scheinen also materiell lebensfähig zu sein.
5. Israel und Palästina sind beide Länder, in denen verschiedene Klassen um die
 Macht ringen, in denen es verschiedene ethnische Gruppen mit anderen
 Hintergründen gibt und in denen verschiedene politische Programme – sowohl
 generell als auch bezogen auf die Lösung des Nahostkonflikts – miteinander
 konkurrieren. Eine Positionierung zum Konflikt, die Nationen nicht als
 historisch entstandene Konstrukte, sondern als einheitlich handelnde Kollektive
 auffasst, wird der Realität also nicht gerecht.



Die Linksjugend [‘solid] beschließt deshalb:

1. Wir stehen für Selbstbestimmung, Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden in Israel
 und Palästina ein. Diese Ziele können nicht auf militärischem Weg oder durch den
 Sieg einer der kriegsführenden Strukturen errungen werden, sondern nur durch den
 gemeinsamen Kampf der israelischen und palästinensischen Arbeiter:innenklasse
 für eine politische Lösung des Konflikts und eine demokratische und soziale
 Ordnung in der Region, die Selbstbestimmung und kollektive wie individuelle
 Rechte von Israelis und Palästinenser:innen wahrt.
2. Wir treten deshalb als konkrete realpolitische Perspektive in der politischen
 Auseinandersetzung für eine von der Bewegung vor Ort geforderte Zwei-Staaten-
 Lösung ein. Neben einem demokratischen, souveränen Staat Israel steht bei dieser
 auch ein demokratischer, souveräner Staat Palästina. Diese Staaten müssen jedoch
 mit der Realität umgehen, dass sie in einem gemeinsamen Raum befinden und durch
 enge Verbindungen geprägt sind. Eine völlige Separation in allen Fragen wäre
 nicht machbar und würde zu weiterem Leid führen, weshalb Ansätze wie das „Two
 States, One Homeland“-Konzept zu berücksichtigen sind, die die Zwei-Staaten-
 Lösung mit konföderalen Elementen kombinieren. Grundsätzlich befürworten wir
 alle Lösungen, die demokratischen Rückhalt genießen und die volle Gewährleistung
 voller individueller und kollektiver Rechte garantieren. Diese müssen dabei
 nicht auf einen staatlichen Rahmen innerhalb des momentanen politischen Systems
 begrenzt sein.
3.Aufgrund der engen Verflechtungen zwischen Israel und Palästina und der
 multiethnischen Realität auf diesem Gebiet braucht es in vielen Fragen
 gemeinsame politische Institutionen, beispielsweise in der Frage der
 Wasserversorgung, in wirtschaftlichen Fragen und bzgl. gemeinsamer
 Sicherheitskonzepte.
4.Auch nach dem Erreichen einer Zwei-Staaten-Lösung werden weiterhin Menschen mit
 palästinensischer Identität in Israel und Menschen mit israelischer Identität in
 Palästina leben. Auch freundschaftliche und familiäre Bindungen werden nicht an
 der Grenze stoppen. Es braucht deshalb Bewegungsfreiheit sowie
 grenzüberschreitend gültige und durchsetzbare Rechte für alle Bewohner:innen von
 Israel und Palästina. Diese Rechte müssen sowohl Freiheitsrechte und
 demokratische Rechte als auch soziale Rechte umfassen. Zur Garantie der
 grenzüberschreitenden Gültigkeit dieser Rechte könnte ein gemeinsamer
 Gerichtshof eine mögliche Lösung sein.
5.Jerusalem als multikulturelle Stadt, die sowohl für Israelis als auch für
 Palästinenser:innen eine große Bedeutung hat und Bezugspunkt für drei
 Weltreligionen hat, muss für alle in der Region lebenden Menschen zugänglich
 sein. Gemeinsame demokratische Institutionen zur Verwaltung der Stadt sind
 essentiell dafür, hier Konflikte zu vermeiden.
6. Die Linksjugend [`solid] distanziert sich sowohl von der rechtsextremen und
 menschenrechtsverletzenden Regierung Netanjahus, als auch von der jihadistischen
 Terrororganisation der Hamas. Beide agieren reaktionär und handeln daher nicht
 im Sinne der Arbeiter:Innen bzw. der Zivilbevölkerung in Israel bzw. in
 Palästina und verdienen daher nicht die Solidarität Linker Bewegungen und
 Organisationen. Unsere Solidarität gilt der Zivilbevölkerung in beiden Gebieten,
 nicht den Regierungen.

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